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»3+1« Fragen an Martin Czapka

A. V.: Lebenselixier, Kulturerbe, Weltanschauung: Dem Wiener Kaffeehaus kommen viele Beschreibungen zu. Wie lautet Ihr Fazit, was macht das Wiener Kaffeehaus so besonders?  

M. C.: Je länger ich mich dem Thema gewidmet habe, desto mehr wurde mir klar, dass es doch nicht an den »inneren Äußerlichkeiten«, also nicht am Inventar eines Wiener Kaffeehauses, liegen kann. Das würde ja sonst bedeuten, dass uns Wienern das Café Sabarsky in  New York Konkurrenz machen könnte. Man kann/muss sich dort zwar wie bei uns anstellen, um schließlich Wiener Kaffeehausflair zu schnuppern, aber die Sessel, die Tischerln, die Luster und die Torten und Kuchen allein sind es einfach nicht! Man denke z. B. an den dort angebotenen »Classic Austrian Herbal Drink«. Würde ein Amerikaner in Wien einen »Klassischen österreichischen Gewürz-Trunk« bestellen, bekäme der nie im Leben einen Almdudler, höchstens ein »Sagn’s sa’s afoch: wos hättn’s denn gern!«

Ein Wiener Café kann – so überheblich es vielleicht klingen mag – nur in Wien stattfinden.

Ich habe das in meinem Buch zu zeigen versucht, dass das Wiener Café trotz all der unterschiedlichen Ausprägungen – und es gibt jede Menge – nur in Wien ein Wiener Café sein kann. Auch, wenn ich das Geheimnis nicht wirklich lüften konnte, vermute ich, dass das Wiener Kaffeehaus primär von der Vergangenheit – wie übrigens fast alles in Wien – lebt. Einerseits von der Legende, dass sich ja irgendwer nach der 2. Türkenbelagerung um die Kaffeebohnen kümmern und somit ein Kaffeehaus gründen musste (was Kolschitzky angedichtet, von Diodato – auch ein Spion – dann umgesetzt wurde). Andererseits, und das sollte man nicht vergessen, gab es in Wien die sogenannten Kaffeehausliteraten, die hier eine Kultur schufen, die leider nahezu gänzlich vernichtet wurde. Auch in Paris, Berlin und Prag gab es Künstler- und Literatencafés, aber die in Wien sorgten für eine spezielle, vornehmlich jüdische, geistige Kultur. Und die hofft man heute (vor allem als Tourist) in den Wiener Cafés weiterhin zu finden, ergänzt um Schmäh und Grant der Ober und dem Wunsch der Gäste, im Kaffeehaus eine zweite Wohnung gefunden zu haben, mit grenzenloser Zeit, ohne Hast aber mit Gemütlichkeit.

Je länger ich darüber nachdenke: Vermutlich ist es die Gemütlichkeit, die Zeit- und Stresslosigkeit, die das Wiener Café zu einem Ort geduldeter und gelebter Entspanntheit macht. Nicht unbedingt ein Ort von heute, aber eben ein Ort vergangener Lebensqualität.


A. V.: Mit über 600 Illustrationen ist »Wiener Cafés« ein Nachschlagewerk mit Kunstbandcharakter. Von Peter Altenberg, Elfriede Jelinek, Friederike Mayröcker bis Stefan Zweig porträtieren Sie auch über 90 Kaffeehäuser. Wie sind diese Illustrationen entstanden?

M. C.: Ursprünglich wollte ich meinem riesengroßen Vorbild, Jean Jaques Sempé – er ist leider 2022 verstorben – folgen und ein Buch über Wien mit gezeichneten Sehenswürdigkeiten und cartoonartigen Figuren herausbringen. Dann gab es die Idee, gemeinsam mit einer lieben Bekannten Poster mit gezeichneten Wiener Kaffeespezialitäten aufzulegen und schließlich wollte ich Anekdoten von Oberkellnern sammeln und illustrieren. Je mehr ich aber in das Thema eintauchte, desto mehr erkannte ich wie stark das Wiener Café – ähnlich dem Neujahrskonzert und dem Opernball – Wien symbolisiert. Ich begann Wiener Cafés zu illustrieren und schon konnte ich nicht mehr heraus, widmete ich mich den Literaten, den anderen Kaffeehausfreunden, den Speisen, den Süßigkeiten – »Kaffee« und das drumherum sind ein unerschöpfliches Thema, Ende nie!


A. V.: Sie schreiben von Kaffeehäusern als Wohnungsersatz, was macht Ihr Lieblingskaffeehaus aus?  

M. C.: Als ich 16 war, entdeckte ich die Schwester eines Freundes als meine große Liebe. Ich hatte damals weder ein Auto, noch eine Wohnung. Ich wohnte bei meinen Eltern im Schloss Schönbrunn, ja, tatsächlich, im Hauptgebäude und genoss die coole Adresse. Da wir beide in Hietzing wohnten, war es für mich naheliegend, mit ihr in dem mir wohlbekannten Schlosspark, wo ich alle Bäume, Sträucher und Verstecke kannte (stellen Sie sich ein Räuber-und Gendarm-Spiel über zehn Stunden in Schönbrunn samt Schlosspark vor) spazieren zu gehen und dort die imponierenden, »geheimen« Plätze aufzusuchen. Von den damals in Hietzing zur Auswahl stehenden Kaffeehäusern suchten wir – und das soll bitte jetzt nicht als Werbung verstanden werden – das Dommayer auf, bestellten uns entweder Emmentalerbrote oder Gugelhupf mit Schlag und lasen in Eintracht die Quick, den Stern und andere Boulevard-Blätter des Lesezirkels. Ein Lieblingskaffee ist meist an die Wohnadresse des Kaffeehausbesuchers gebunden. Wenn sich zwei Gassen weiter ein Café befindet, wird man nicht eine halbe Stunde U-Bahn-Fahrt investieren. Man sucht sein Lieblingskaffeehaus meist in der Nähe! Ich blieb dem Dommayer und auch meiner großen Liebe, mit der ich zwei Töchter habe, treu.


A. V.: »Was darf’s sein?« Was bestellt Martin Czapka im Kaffeehaus?

M. C.: Als Purtrinker, also ohne und ohne, gelte ich laut Typologie als schnell, zielstrebig, aktiv und einfallsreich und fühle mich echt wow dabei. So bestelle ich auch bei Besprechungen: schwarz, ohne Zucker und ohne Milch. In Wirklichkeit möchte ich meine Gastgeber nicht in Verlegenheit bringen, indem ich einen Maria Theresia bestelle, einen doppelten, gesüßten Espresso mit französischem Orangenlikör und Schlagobers.

Übrigens habe ich soeben, während ich diese Zeilen schrieb, einen solchen genossen. Bitte um Nachsicht, vielleicht wirkt er wie gewünscht!