»3+1« Fragen an Daniela Angetter-Pfeiffer
A. V.: Auf »Pandemie sei Dank!« folgt »Als die Dummheit die Forschung erschlug«. Was impliziert der Titel Ihres neuen Buches?
D. A.-P.: Während der Corona-Pandemie hat sich anhand unterschiedlichster Aussagen von Expert:innen – u. a. zur Verbreitung des Virus, zu Maßnahmen, aber auch zu Impfstrategien – immer wieder gezeigt, wie schwierig es sein kann, richtige Entscheidungen bei der Bekämpfung von Krankheiten zu treffen und diese dann umzusetzen. Herausfordernde Arbeitsbedingungen in den Spitälern, finanzielle Belastungen aber auch ein teilweiser Kampf gegen die Politik machten die Pandemiebekämpfung nicht immer einfach. Solche Problematiken sind nicht neu und begleiteten Ärzte bereits über Jahrhunderte. Viele Untersuchungsmethoden, Operationstechniken, Behandlungsmaßnahmen oder Gerätschaften, die heute aus der Medizin nicht mehr wegzudenken sind, wurden in ihren Anfängen verpönt, massiv kritisiert und teilweise kategorisch – nicht zuletzt auch aus finanziellen Gründen – abgelehnt. Viele Ärzte erlitten also mit ihren Entdeckungen und Erfindungen zunächst Schiffbruch und mussten gegen Neid, Unverständnis, Zurückweisung und Widerstand ankämpfen. Mobbing, Vertreibung, Disziplinar- oder Gerichtsverfahren machten nicht einmal vor Nobelpreisträgern wie Robert Bárány, Karl Landsteiner oder Julius Wagner-Jauregg halt. Manche bezahlten ihren verkannten Forschungstrieb sogar mit dem Leben wie Ignaz Semmelweis, der Röntgenologe Guido Holzknecht oder Ludwig Haberlandt, ein Vorreiter der Entwicklung der Antibabypille. Aber die Geschichte zeigt, dass sich viele Ärzte nicht unterkriegen ließen und für ihre Ideen, Erfindungen und Entdeckungen zum Wohle ihrer Patient:innen kämpften und nicht zuletzt damit zum heute guten internationalen Ranking der Wiener Medizinischen Universität beitrugen.
A. V.: Welche »Dummheiten« sind heute nicht mehr aus der Medizin wegzudenken?
D. A.-P.: Das beginnt bei heute gängigen Untersuchungsmaßnahmen wie dem Blutdruckmessen, dem Pulsfühlen, dem Messen der Körpertemperatur genauso wie dem Abhorchen von Herz und Lunge oder dem Abklopfen der Körperoberfläche. Ebenso schwierig war es, bildgebende Verfahren von der Röntgenologie bis hin zur Endoskopie durchzusetzen und Selbstversuche waren nötig, um Narkosewirkungen zu beweisen. Die Pathologie musste ebenfalls lange kämpfen, bis man erkannte, wie wichtig Obduktionen für die Erstellung von künftigen Diagnosen und sich daraus ergebenden Behandlungen sind. Selbst wenn Theodor Billroth zu den großen Kapazundern der Chirurgie zählte, irrte er, als er Herzoperationen für undurchführbar hielt. Lorenz Böhlers „neumodische“ Techniken der Knochenbruchbehandlungen, die viele Patient:innen vor bleibenden Schädigungen und damit auch vor Arbeitsunfähigkeit bewahrten, wurden lange von den Fachkollegen, aber auch von der Politik abgelehnt, und der heute bekannte Orthopäde Adolf Lorenz musste sich zunächst spöttisch als „Gipsdozent“ belächeln lassen, ehe man sah, wie wirkungsvoll seine Behandlungen bei angeborenen Hüftgelenksverrenkungen waren. In der Transplantationsmedizin brauchte vor allem Raimund Margreiter eine dicke Haut, nachdem er dem Briefbombenopfer Theo Kelz zwei neue Hände „geschenkt“ hatte. Im 19. Jahrhundert hatte man für die sanfte Geburt noch wenig über und man stritt zudem heftigst über die Operationsverfahren zur Behandlung von Gebärmutterhalskrebs. Feindseligkeiten bereicherten aber auch: etwa bei der Gründung der weltweit ersten Augenklinik in Wien oder bei der Erfindung des Laryngoskops.
Dass Bildung, gesunde Ernährung, Arbeit und leistbare Wohnungen zur Gesundheit der Menschen beitragen, hatte Johann Peter Frank schon Ende des 18. Jahrhunderts erkannt. Es dauerte aber bis das in die Köpfe der Herrscher und Kollegen gelangte. Seine Forderungen für eine Gesundheitspolitik ähneln jedoch jenen aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Und lange brauchte es auch, bis Ignaz Semmelweisʾ Händedesinfektion anerkannt war.
Ein steiniger Weg war es, bis man psychisch Kranke als Patient:innen anerkannte und ihnen menschenwürdige Behandlungen zuteilwerden ließ. Heute wird Österreich um seine Psychiatriereform beneidet. Die Vertreter der Wiener Psychoanalyse konnten sich zwar nicht zusammenraufen, trotzdem bewiesen sie, dass die Psychoanalyse nicht nur eine sinnlose Wohlfühltherapie für Reiche ist, sondern gerade auch heute für Menschen, die unter dem Social Distancing durch Corona litten, hilfreich sein kann.
Gerard van Swieten musste sich nicht nur gegen Pocken, Syphilis und Vampirismus durchsetzen, sondern den Ärzten klarmachen, dass es Studenten nicht schadet, wenn sie bereits in der Ausbildung Kranke zu Gesicht bekamen und unter Anleitung therapieren durften. Er setzte das Lehren und Lernen am Krankenbett zwar durch, aber noch im späteren 20. Jahrhundert, konnte ein Medizinstudent die Universität verlassen, ohne einen Patienten zu Gesicht bekommen zu haben, sofern er sich nicht selbst für seine Praxisausbildung engagierte.
A. V.: Spricht man von dem Konkurrenzkampf in der Ärzteschaft, wie sieht es mit der Benachteiligung der Frauen aus?
D. A.-P.: Für Frauen war es zunächst sehr schwierig in der Medizin Fuß zu fassen und überhaupt studieren zu dürfen. Sie mussten sich gegen Vorurteile wie es fehle ihnen die Befähigung zur Pflege und Ausübung der medizinischen Wissenschaften oder sie seien psychisch zu labil durchsetzen. Und selbst als sie studieren durften, gab es Professoren, die sich weigerten, Medizinstudentinnen zu prüfen. Namhafte Vertreter der Wiener Medizin wie Theodor Billroth oder Anton von Eiselsberg machten keinen Hehl daraus, dass Frauen an den häuslichen Herd gehörten anstatt an eine Universität. Eine Sekundararztstelle zu bekommen war auch nicht leicht. Frauen mussten nachweisen, dass sie besser qualifiziert waren als ihre männlichen Mitbewerber, und bis 1920 mussten sie ledig sein, um in Wiener Krankenanstalten angestellt zu werden. Viele arbeiteten daher zunächst als Schul-, Amts- oder praktische Ärztin. Früh interessierten sie sich auch für die Fachgebiete Gynäkologie und Individualpsychologie.
Aber auch im späteren 20. Jahrhundert hatten es Frauen nicht immer leicht. So scheiterte Ingrid Leodolter an ihrer Funktion als Gesundheitsministerin, jedoch leistet ihre Einführung des Mutter-Kind-Passes bis heute eine ganz wichtige Rolle in der Vorsorge für Schwangere und Kleinkinder.
A. V.: Was kann Österreich tun, um sein Gesundheitssystem gesund zu halten?
D. A.-P.: Das Wichtige ist, dass die Bedürfnisse der Patient:innen im Vordergrund stehen und dass eine adäquate Versorgung für alle Menschen gewährleistet ist. Es braucht eine flächendeckende Versorgung mit praktischen und Fachärzt:innen, auch in entlegenen ländlichen Gebieten. Der Arztberuf ist in vielen Fällen kein einfacher: überlaufende Praxen und Spitalsambulanzen, kaum Zeit für ein intensives Gespräch mit den Patient:innen, Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede stellen große Herausforderungen dar. Dazu kommen immer wieder Diskussionen um Zwei-, Drei- oder sogar Vierklassenmedizin, Probleme im Pflegebereich oder aktuell in der Medikamentenversorgung sowie unterschiedliche Leistungsangebote bei den Krankenkassen. Wer rascher versorgt werden oder einen nicht akuten Operationstermin schneller erhalten möchte, sucht oft einen Wahlarzt auf. Doch Österreichs Gesundheitssystem soll nicht von den finanziellen Möglichkeiten der Patient:innen abhängig sein.
Voraussetzungen, die wir schon aus dem 18. Jahrhundert kennen, wie Bildung, Wohnqualität, sichere Arbeitsplätze oder gesunde Ernährung können dazu beitragen, den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu verbessern. Diese Voraussetzungen müssen allerdings auch heute durch die Politik geschaffen werden. Genauso können regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen helfen, Krankheiten rechtzeitig zu erkennen und so die Heilungschancen zu erhöhen. Das Angebot in Österreich ist sehr gut, appelliert werden muss an die Bevölkerung die Möglichkeiten zu nutzen.
In vielen Fällen hilft Informationsvermittlung, darunter mediale Sprechzimmer als Bestandteil des Fernsehprogramms. So erreicht Siegfried Meryn mit seinen Sendungen zu Gesundheitsthemen eine breite Öffentlichkeit und geht dabei live auf Fragen, Wünsche und Bedürfnisse des Publikums oder direkt Betroffener ein, informiert über neue Behandlungsmöglichkeiten und erklärt medizinische Fragen einfach. So kann man Patient:innen helfen, zu erkennen, wann es wichtig ist, rasch einen Arzt oder ein Spital aufzusuchen und wann mitunter einfache Hausmittel helfen. Information, Wissensvermittlung und Motivation, besser auf seine Gesundheit zu achten, sind das eine, die heutigen Möglichkeiten der Digitalisierung können aber noch zusätzlich zur Entlastung des Gesundheitssystems beitragen, mithilfe der Telemedizin. Sie erspart Wege in Ordinationen oder zu Ambulanzen, lässt zeitnahe Reaktionen auf Änderungen des Gesundheitszustands zu, kann Hospitalisierungen vermeiden und Kosten senken. Hier ist sicher noch Potenzial vorhanden, denn Smartphones, Smartwatches und künstliche Intelligenz werden im Vergleich zu anderen Ländern in Österreich noch viel zu wenig in die Gesundheitsförderung integriert.