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Das »3+1«-Interview mit Kurt Hofmann

A. V.: Wie kam es zu den Treffen mit H. C. Artmann, und stand von Anfang an fest, dass eine Art »Autobiografie« aus den Gesprächen entstehen soll?

K. H.: Als junger ORF-Redakteur in Salzburg wollte ich »den letzten literarischen Lebemann« vors Mikrofon bekommen, wohl wissend, wenn er so etwas macht, dann sehr ungern. Die ersten Überlegungen in diese Richtung gab es bereits 1980. Die, die ihn näher kannten, rieten von so einem Projekt ab. Die, die ihn bisher interviewten, erst recht!

Als er 1982 nach vielen vergeblichen Versuchen doch einwilligte, es probieren zu wollen, war wenig »Sendbares« dabei. Da er viel zu viel überlegt hat und viel zu wenig er selbst dabei geblieben ist.

Im Laufe der Jahre – mit monatelangen Pausen – wurde das Vertrauen größer bis zu dieser bei ihm seltenen Offenheit, die dann die Perspektive Richtung Buch – »autobiografisches Vermächtnis des literarischen Genies« (FAZ) – erst ermöglichte!

Die intensiven nächtelangen Interviews wurden von 1990 bis wenige Monate vor seinem Ableben im Jahr 2000 geführt.

Als er das Manuskript las, erschrak er: »Was haben wir gemacht!« und: »Bring das erst raus, wenn ich nicht mehr bin!«

 

A. V.: Warum war es so schwer, an H. C. Artmann »heranzukommen«?

K. H.: In einer besinnlichen Minute zwischen drei und vier Uhr morgens, die Flasche Rotwein war längst leer, habe ich ihn genau das gefragt und bekam zur Antwort: »Weißt du … (lange Pause), ich bin menschenscheu, sehr menschenscheu. Bei einfachen Dingen zu meiner Person habe ich schon Schwierigkeiten. Ich bin kein Selbstdarsteller. Diese Selbst-Zur-Schau-Stellung, wie auf einer Schlachtbank. Da liegen die Kadaver, seht her. Und wer da alles mit dem Messer auf dich zugeht, mit einem stumpfen, damit es ja wehtut. Und dann wird in den Wunden herumgerührt und das Blut spritzt und die Leute begeilen sich daran. Auskunft geben über mich bereitet mir Übelkeit und Schmerzen. Sich vor Reportern und dem Fernsehen und all dem zu schützen, das ist doch nur Notwehr.«

 

A. V.: Wie lässt sich die Faszination H. C. Artmanns erklären?

K. H.: Man kann es nicht besser ausdrücken, als dies Klaus Reichert bei Artmanns Begräbnis am 16. Dezember 2000 in Wien Simmering in der Verbrennungshalle getan hat:

»Kein Dichter in diesem mit ihm zu Ende gehenden Jahrhundert hat so bedingungslos wie H. C. Artmann die Existenz und die Würde des Dichtens noch einmal vorgelebt. In keinem Dichter des Jahrhunderts kamen wie bei ihm noch einmal die Möglichkeiten des Dichtens in einer über tausendjährigen Tradition zusammen und zeigten sich wie gerade erst erschaffen, herrlich wie am ersten Tag. Kein Dichter, auch Ezra Pound nicht, hat wie er auf andere gewirkt, weil er keine Richtung verfolgte, keine Prinzipien verkündete, außer solchen, die im nächsten Gedicht wieder aufgelöst werden konnten. So kam es, dass so viele Talente und große Begabungen sich von ihm herschreiben konnten, indem sie, durch ihn, zu ihrer eigenen Stimme fanden. Und das Erstaunlichste: Er war ein altersloser Dichter, dessen Zeit immer gekommen war. Jede Generation, bis herab zur jüngsten, konnte mit ihm, durch ihn, den Funken der Dichtung neu entfachen.«

 

A. V.: Was sollte man Ihrer Meinung nach unbedingt von H. C. Artmann gelesen haben und weshalb?

K. H.: Da kann und sollte man nichts explizit hervorheben, und deshalb gibt es in »ich bin abenteurer und nicht dichter« eine Andeutung eines Querschnittes seines Schaffens mit möglichst vielen Werkausschnitten.

 

© Matthias Klugsberger